wärst du doch in oldenburg geblieben

Sandra Holz ist Einzelkind und 30 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Mutter in Oldenburg unter einem Dach und arbeitet als Oberkommissarin in der niedersächsischen Stadt. Von dort lässt darf sie nach dem Willen des Autors Klaus E. Spieldenner in die weite Welt, nämlich nach Hamburg ziehen. Nach der Lektüre des 344 Seiten langen Krimis mit dem Titel „START ZIEL TOD“ frage ich mich allerdings, ob sie nicht besser in Oldenburg geblieben wäre.

Drei Fälle hat Holz zu knacken: Einen als Badeunfall getarnter Ehrenmord an einer jungen türkischen Frau namens Aisha in Hamburg, bei dem sie zufällig Zeugin ist. Den Fall eines Serienvergewaltigers, der sich seine Opfer auf Campingplätzen aussucht und sie mittels einer Art Giftgasangriff außer Gefecht setzt. Dabei kann es auch schon mal zu Toten kommen, quasi Kollateralschaden. Und dann gibt es noch den Titel gebenden Fall, das Verschwinden verschiedener Läufer nach ihrer Teilnahme am Hamburg-Marathon im Jahr 2014, an dem Holz auch teilnahm. Zu den Vermissten zählt unter anderem Tobias Reichert, junger Stürmerstar des FC St. Pauli. Holz ermittelt an allen Fronten und nimmt dabei etliche Blessuren in Kauf. Spannung wird dadurch leider nicht erzeugt.

Der Ehrenmord wird zwar mit viel Getöse und Geballer, aber letztendlich im Vorbeigehen gelöst. Der türkische Täter stirbt nach einer Geiselnahme im Kugelhagel. Der Ehemann und Auftraggeber des Mordes kann nicht belangt werden. Der Serienvergewaltiger hingegen wird gefasst. Es handelt sich um einen tschechischen Spargelstecher, der seine Verbrechen in der Umgebung der gerade abzuerntenden Spargelfelder beging.

Und der tote St. Pauli-Star? Der wurde Opfer einer asiatischen Organräuberbande, die sich ihre passenden Opfer anhand von bei der Startnummernvergabe durchgeführten Blutproben aussuchten. Holz und ihr Hamburger Kollege Alex Schweiss entdecken unter Mithilfe eines Wissenschaftlers nicht nur das Muster, das hinter dem Verschwinden der Marathonläufer steht. Sie ermitteln auch die Organräuberklinik, die auf einem Kreuzfahrtschiff mit dem schönen Namen „Health of the World“ bestens und vor allem unerkannt eingerichtet ist. Für Reichert kommt leider jede Hilfe zu spät. Andere, darunter der neue italienische Geliebte der Oberkommissarin mit dem schönen Namen Luca-Matteo, können soeben noch gerettet werden.

Leider hat keine der drei unabhängig voneinander ablaufenden Geschichten Tiefgang. Die Naivität der im Laufe der Handlung nach Hamburg ziehenden Sandra Holz ist schmerzhaft. Ein Beispiel: „Sie hatte einen ihrer freien Tage eingeplant, um eine Wohnung in St. Georg zu mieten.“ Sandra Holz, schon mal Zeitung gelesen und vielleicht Wörter wie Mietpreisbremse oder Gentrifizierung gelesen? Der Tag hat auf jeden Fall nicht gereicht, sie zog letztendlich zu ihrem Geliebten. Dazu quält einen der mitunter arg behäbige Schreibstil. Ein Beispiel gefällig? „Die ersten Kilometer mit dem Gas betriebenen Fahrzeug verursachten ihr sitztechnisch leichte Probleme.“ Dieser bereitet mir leider lesetechnisch einige mittelschwere Probleme. Zum Schluss, also vor dem Epilog und vor der „Geschichte der Protagonisten“, wird es noch arg gefühlig. Holz überführt die tote Aisha in ihre Heimat und stellt dabei fest, dass sie „Lucas Kind unter ihrem Herzen“ trug.

Mindestens genauso ärgerlich wie beispielsweise langatmige Beschreibungen von Bahnfahrten ist die Tatsache, dass Spieldenner mit Fußball lockt, aber nicht hält, was er verspricht. Den Titel ziert ein St. Pauli-Wappen auf einer Läuferwade und noch vor dem Prolog bringt Spieldenner einen Zeitungsschnipsel vom Relegationsspiel HSV – St. Pauli mit der Überschrift: „HSV abgestiegen – Dino nach 50 Jahren gestürzt!“ Prima, dachte ich mir, das wollte ich immer schon lesen. Nur leider kommt zu diesem Thema auf den nächsten über 300 Seiten so gut wie nichts mehr. Fußball ist in diesem Regionalkrimi die kleinste Nebensache der Welt. Um dem Ganzen aber ein wenig mehr Pep zu geben, handelt es sich bei Tobias Reichert um einen schwulen Fußballer. Hier werden alle Klischees über homosexuelle Fußballer abgefeiert. Ich habe leider bei der Lektüre des Zeitungsschnipsels die Signale nicht erkannt: Zwei Fehler (das Rückspiel fand angeblich beim HSV statt, hätte aber am Millerntor ausgetragen werden müssen, und beim Spielstand von 1:1 im Rückspiel und einem 0:0 im Hinspiel, hätte es keine Verlängerung gegeben) auf so wenig Raum. Ich hätte noch vor dem Prolog die Lektüre beenden sollen. Und Sandra Holz wäre besser in Oldenburg geblieben. Doch das haben wir beide nicht gemacht.

Klaus E. Spieldenner: START ZIEL TOD. Hamburg-Krimi, Hameln, 2015