wm 1978 argentinien – in die flucht getrieben

„Ich weiß auch nicht, dauernd habe ich das Gefühl, dass die Stadt voller Leute ist, die einen ausspionieren.“ Als Ana dies zu dem befreundeten Journalisten Pablo, der Hauptfigur des Romans von Antonio Dal Masetto „Unten sind ein paar Typen“ sagt, ist eigentlich noch nichts passiert. Lediglich, dass Ana ein paar Typen beobachtet hat, die vor Pablos Wohnhaus rumlungern, dort aber eigentlich nichts zu suchen haben.

Es ist der 24. Juni 1978 in Buenos Aires und am Abend wird dort das Spiel um Platz 3 zwischen Italien und Brasilien ausgetragen. Beinahe ganz Argentinien befindet sich voller Vorfreude auf das am kommenden Abend stattfindende Finale gegen die Niederlande. Nur Ana und Pablo können diese Freude nicht teilen, weil sich bei ihnen ein ungutes Gefühl einschleicht, nachdem sie ihrem Freund ihre Beobachtung mitgeteilt hatte.  

Pablo kann sich zunächst nicht vorstellen, dass sie seinetwegen dort stehen. Er ist zwar Journalist, seine Artikel haben aber nichts mit Politik zu tun. Dennoch kann er eine gewisse Unruhe nicht verbergen, schließlich kann sich während Argentiniens Diktatur so gut wie niemand sicher fühlen. Pablo muss bald erkennen, dass sich die wenigen Freund*innen, mit denen er über diese Typen spricht, von der Unruhe anstecken lassen und sich von ihm abwenden. So steigert sich innerhalb von 24 Stunden sein Unbehagen zunächst in Angst, später in Panik, die in einer Kurzschlussreaktion und auf einem unbekannten Provinzbahnhof endet.

Antonio Dal Masetto, der als 40-Jähriger die WM erlebte und dessen Roman 1998 veröffentlicht wurde, gelingt es auf nur 146 Seiten, Pablos aufsteigende Panik vor dem Hintergrund der zunächst erwartungsvollen, am Ende feiernden Argentinier*innen fühlbar zu machen. „Inmitten der Euphorie verlor alles an Konsistenz“, fasst der Erzähler Pablos Situation zusammen. Dabei taucht das Grauen der Militärdiktatur nur am Rande und in den Gesprächen mit seinen Freund*innen auf. Es ist die Rede von anscheinend wahllosen Verhaftungen und angeschwemmten Leichen am Meeresufer. Nur gut 24 Stunden nachdem Pablo von den Typen Kenntnis nehmen musste, befindet er sich auf der Flucht, ohne dass er während dieser Zeitspanne einer konkreten Bedrohung ausgesetzt war. Allein das Wissen, was alles im Argentinien der Militärjunta möglich ist, treibt ihn zunächst in die Isolation und schließlich in die Flucht.

Noch ein kleiner Nachsatz: Es ist mitunter ärgerlich, Bücher mit Sportbezug zu lesen, bei den weder Übersetzung noch Lektorat von sportaffinen Menschen geleistet wurde. In einem anderen Roman war beispielsweise in der deutschen Übersetzung von einer „Strafe“ die Rede. Gemeint war allerdings ein „Elfmeter“, was den Sinn des Satzes völlig auf den Kopf stellte. Bei Dal Masettos Roman zuckte ich gleich auf der ersten Seite, weil die ansonsten hervorragende Übersetzerin Susanna Mende einige argentinischen Fans lautstark „Argentinien, Argentinien!“ rufen lässt. An dieser Stelle wäre die Beibehaltung des Originals eindeutig besser gewesen.

Antonio Dal Masetto: Unten sind ein paar Typen, 2007 Zürich